Die Pflegeversicherung in Deutschland steht vor einem strukturellen Kollaps. Das machte Bernhard Staffler, Geschäftsführer des Bayerischen Bezirketags, jüngst mit deutlichen Worten klar. Seine Kernforderung: Ein tiefgreifender Systemwechsel, der weit über kurzfristige Finanzspritzen hinausgeht. Denn das derzeitige Modell sei „nicht mehr zukunftsfähig“.
Das Problem: Eine Versicherung, die keine Vollkasko ist
Seit ihrer Einführung 1995 versteht sich die gesetzliche Pflegeversicherung lediglich als Teilleistungsversicherung. Das heißt: Sie deckt einen festen Anteil der Pflegekosten – unabhängig davon, wie hoch die tatsächlichen Ausgaben sind. Die Differenz müssen Betroffene und Angehörige selbst tragen.
In der Praxis bedeutet das:
- Pflegebedürftige zahlen immer mehr aus eigener Tasche – vor allem in stationären Einrichtungen.
- Steigende Pflegekosten durch Löhne, Inflation und steigenden Pflegebedarf belasten das System zusätzlich.
- Kommunen geraten unter Druck, weil sie bei Mittellosigkeit für „Hilfe zur Pflege“ einspringen müssen.
Die Folge: Immer mehr Menschen geraten in finanzielle Not, obwohl sie versichert sind.
Reformbedarf auf mehreren Ebenen
Staffler betont, dass kosmetische Korrekturen wie Beitragsanpassungen oder Einmalzahlungen die systemischen Probleme nicht lösen. Seine Forderungen im Überblick:
- Pflegeversicherung als Vollversicherung
Eine vollständige Kostenübernahme für Pflegeleistungen – analog zur Krankenversicherung – sei langfristig notwendig. - Finanzierung durch Steuern statt nur Beiträge
Die demografische Entwicklung lasse sich durch lohnbezogene Beiträge allein nicht mehr auffangen. Auch Kapitalerträge und andere Einkommensarten sollten einbezogen werden. - Pflegeinfrastruktur sichern
Investitionen in Pflegeeinrichtungen, Digitalisierung und Personalgewinnung müssten Bestandteil eines Reformpakets sein. - Entlastung der Kommunen
Länder und Bund müssten die Finanzierung der Hilfe zur Pflege stärker übernehmen, um kommunale Haushalte nicht zu überfordern.
Aktuelle Entwicklungen: Pflegebeiträge steigen, Probleme bleiben
Zwar hat die Bundesregierung 2023 die Pflegebeiträge leicht erhöht, und auch Entlastungen wie der „Entlastungszuschlag“ für stationär Pflegebedürftige wurden eingeführt. Doch laut Staffler reiche das nicht:
| Maßnahme | Wirkung laut Staffler |
|---|---|
| Beitragserhöhung | „Reicht nicht zur Deckung des Bedarfs“ |
| Entlastungszuschlag | „Kompensiert nur einen Teil der Eigenanteile“ |
| Digitalisierungsoffensive | „Wichtiger Schritt, aber kein Ersatz für Reformen“ |
Die soziale Schieflage wächst
Ein besonders besorgniserregender Trend: Menschen mit mittlerem Einkommen rutschen zunehmend in die Sozialhilfe, sobald ein Angehöriger pflegebedürftig wird. Das gefährdet laut Staffler nicht nur den sozialen Frieden, sondern auch die Akzeptanz des gesamten Pflegesystems.
Ausblick: Reformfenster darf nicht ungenutzt bleiben
Staffler warnt davor, die Augen vor der demografischen Realität zu verschließen: Bis 2040 wird die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland um rund 50 % steigen. Ohne grundlegende Strukturreformen droht eine finanzielle Überlastung – sowohl der Pflegekassen als auch der Familien und Kommunen.
Die Politik müsse jetzt handeln – nicht mit Symbolpolitik, sondern mit einem durchdachten Gesamtkonzept, das die Pflegeversicherung auf stabile, solidarisch finanzierte Beine stellt. Nur so lasse sich verhindern, dass Pflegebedürftigkeit zu einem sozialen Risiko wird.