Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat eine wegweisende Entscheidung getroffen: Mit „Omisirge“ wurde erstmals eine allogene Stammzelltherapie aus Nabelschnurblut zur Behandlung bestimmter Blutkrebserkrankungen zugelassen. Das innovative Arzneimittel könnte insbesondere Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) und myelodysplastischem Syndrom (MDS) zugutekommen, die keine geeigneten Spender für eine klassische Stammzelltransplantation finden.
Eine Alternative für Hochrisikopatienten
Die Transplantation hämatopoetischer Stammzellen ist ein etablierter Behandlungsweg bei verschiedenen Blut- und Knochenmarkserkrankungen. Fehlt jedoch ein passender Spender, kann sich die Therapie verzögern oder gar unmöglich werden – ein Risiko, das für viele Betroffene mit einer schlechten Prognose einhergeht.
Omisirge basiert auf aus Nabelschnurblut gewonnenen Stammzellen, die mithilfe des Proteins Notch-Ligand Delta-1 in einem speziellen Verfahren ex vivo vermehrt werden. Diese Technologie ermöglicht es, innerhalb weniger Tage eine ausreichende Zellzahl für die Transplantation zu generieren, was den bisherigen Engpass durch die begrenzte Zellmenge im Nabelschnurblut umgeht.
Vorteile gegenüber herkömmlicher Transplantation
Im Vergleich zu traditionellen Stammzelltransplantationen zeigt Omisirge laut klinischen Studien mehrere potenzielle Vorteile:
| Vorteil | Beschreibung |
|---|---|
| Schnellere Regeneration | Verkürzte Zeit bis zur Neutrophilen-Engraftment, also der Erholung des Immunsystems |
| Weniger schwere Infektionen | In der entscheidenden frühen Phase nach der Transplantation deutlich geringere Infektionsraten |
| Erhöhte Verfügbarkeit | Nabelschnurblut ist unabhängig vom Spenderregister sofort verfügbar |
| Geringeres Risiko für GvHD | Graft-versus-Host-Reaktionen treten seltener und oft in milderer Form auf |
Diese Faktoren machen das Medikament besonders attraktiv für Patienten, die sich in einem fortgeschrittenen oder instabilen Krankheitsstadium befinden und keine Zeit verlieren dürfen.
Zulassung auf Basis robuster Studiendaten
Die Zulassung durch die EMA basiert auf den Ergebnissen einer multizentrischen Phase-III-Studie, in der die Wirksamkeit und Sicherheit von Omisirge mit herkömmlichen Nabelschnurblut-Transplantaten verglichen wurde. Die behandelten Patienten zeigten eine signifikant schnellere Bildung neutrophiler Granulozyten – ein entscheidender Marker für die Immunrekonstitution. Auch die Rate schwerer bakterieller und viraler Infektionen innerhalb der ersten 100 Tage nach Transplantation war deutlich reduziert.
Eine klinische Aufarbeitung zeigte:
- Medianzeit bis zur Engraftment: 12 Tage (Omisirge) vs. 22 Tage (Kontrollgruppe)
- Infektionsraten (schwerwiegend): 39% (Omisirge) vs. 60% (Kontrollgruppe)
- Überlebensrate nach 180 Tagen: vergleichbar, aber mit besserem Verlauf in der frühen postoperativen Phase
Bedeutung für die klinische Praxis
Mit der EU-Zulassung steht Hämatologen nun ein neues Werkzeug zur Verfügung, das insbesondere für Patienten mit dringendem Transplantationsbedarf oder unzureichender Spenderkompatibilität einen echten Fortschritt darstellt. Die Therapie könnte vor allem in Ländern mit eingeschränktem Zugang zu nationalen oder internationalen Spenderregistern eine größere Rolle spielen.
Auch die Nutzung von Nabelschnurblutbanken erfährt durch diese Entscheidung neuen Auftrieb. Bisher war deren klinische Anwendung durch die geringe Zellzahl begrenzt. Die ex vivo Expansionstechnologie durchbricht diese Barriere und macht eingefrorene Spenden wesentlich praktikabler.
Ausblick: Breitere Anwendung denkbar
Der Einsatz von Omisirge ist aktuell auf Patienten mit AML und MDS beschränkt, doch Experten sehen Potenzial für eine Ausweitung auf weitere Indikationen – etwa lymphatische Leukämien, schwere aplastische Anämie oder genetische Immundefekte. Langfristig könnte die Plattformtechnologie sogar Eingang in autologe Stammzelltherapien oder CAR-T-Zell-Produktionen finden.
Mit Omisirge betritt die regenerative Medizin ein neues Kapitel – eines, in dem biotechnologische Verfahren die Grenzen klassischer Transplantationsmedizin zunehmend verschieben. Für viele Patienten könnte dies nicht weniger als eine zweite Chance bedeuten.